Das KreativQuadrat ist seit Beginn des Überfallkrieges auf die Ukraine in verschiedenen Formen mit Menschen dort verbunden. Die neue, veränderte Situation mit dem neuen Präsidenten der USA erschüttern auch uns. Unser Künstlerfreund Utz Benkel hat nun Statements von Freund*innen aus der Ukraine gesammelt, Stimmen aus dem Krieg aus erster Hand. Die Texte in voller Länge könnt ihr hier nachlesen:
.
Liebe Freunde und liebe Freundinnen,
Wir alle sehen die Weltlage und die drastischen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen sowie die negativen Auswirkungen, insbesondere auf die Ukraine und ihre Bevölkerung. Ich finde ihre Stimmen sollten auch in Deutschland gehört werden. Deshalb habe ich ukrainische Freunde und Freundinnen gefragt, ob sie eine Art Stellungnahme verfassen möchten, in der sie Ihre Sicht und Ihre Gefühle zur aktuellen Situation darlegen. Wie auch Ihre persönliche Situation in der Ukraine oder im Exil ist, welche Hoffnungen und Visionen sie haben, um diese dann in Deutschland zu veröffentlichen. – Utz Benkel
.
Eine Stimme aus der Ukraine …
Meine Heimatstadt ist Lwiw, ganz im Westen der Ukraine. Wir liegen mitten im Hinterland, und auf den ersten Blick hat uns der Krieg nicht berührt. Aber das ist nur der Anfang. Auch hier fliegen ballistische Raketen, und sie haben es geschafft, Unruhe zu stiften. In fast jeder Familie kämpft jemand. Der Soldatenfriedhof wächst. Immer mehr Menschen sind körperlich behindert – sowohl Soldaten als auch Zivilisten.
Wie fühle ich mich im vierten Jahr der heißen Kriegsphase? In dieser Zeit haben wir alle Phasen der Anpassung an Stress durchlaufen. Vom Schock der ersten Tage und Monate über die Verzweiflung bis hin zu Phasen der Hoffnung. Wir haben neue Fähigkeiten erworben. Wir haben uns an Luftangriffe gewöhnt. Wir haben unsere Arbeitszeiten umgestellt und uns an Stromausfälle angepasst. Wir haben immer einen Wasservorrat, geladene Batterien und eine Alarmtasche zu Hause.
Wenn man von Explosionen geweckt wird oder ein Luftabwehrduell mit den Shahids über dem eigenen Haus sieht, vergisst man die Zwei-Wand-Regel (so dass bei einem Angriff mindestens zwei Wände zwischen Menschen und Fenstern sind). Ich habe zugesehen, um mich für immer daran zu erinnern. Es gibt Dinge, die haben keine Daseinsberechtigung.
Wir versuchen, die gewohnte Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Illusion von Normalität. Es gibt Arbeit, sie muss erledigt werden. Die alte Mutter muss versorgt werden. Kontakt zu Freunden halten. Training absolvieren, um fit zu bleiben. Für die Armee spenden – mein kleiner Beitrag soll im Feuer der russischen Öl- und Waffenlager landen.
Ich glaube nicht, dass dieser Krieg diplomatisch beendet werden kann.
Ich glaube nicht an einen Waffenstillstand. Russland ist verhandlungsunfähig und hat stets alle Vereinbarungen verletzt.
Wenn die Russen aufhören zu kämpfen, werden die Sanktionen gegen sie aufgehoben, sie werden auf allen Ebenen tolerant sein, kulturelle, handelspolitische und sonstige Beziehungen werden wiederhergestellt.
Wenn wir aufhören zu kämpfen, werden wir aufhören zu existieren.
Wir haben dank unseres Militärs und der Hilfe anderer Länder überlebt, wofür wir sehr dankbar sind.
Aber dieser Krieg wird lange dauern – bis die russische Wirtschaft zusammenbricht und dieses Imperium zerfällt.
Unser Land muss sich in eine Festung verwandeln. Vielleicht werde ich den Frieden nicht mehr erleben. Lass es sein. Lass dieses größte Kolonialreich zusammenbrechen.
Ich hätte nicht erwartet, in einer Zeit zu leben, in der die gewohnte Weltordnung zusammenbricht. Nun ja. Etwas Neues wird das Alte ersetzen.
Vielleicht ist es naiv – aber ich möchte wirklich, dass die Menschen wachsam sind und nicht zulassen, dass Unwissende und Menschen, für die es in der Politik nur um Geld geht, die Macht übernehmen. Jedes Übel muss bestraft werden, sonst wird es üppige Triebe treiben. Unsere Entwicklung hält mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt. Die Menschheit wird diese Prüfung entweder bestehen oder nicht.
Svitlana Slovotenko, 14. März 2025.
Zwei weitere Stimmen aus der Ukraine: Mutter und Tochter.
Mutter, Lehrerin:
Was kann ich eigentlich über diesen Krieg erzählen? Schicken Sie bitte meine Gedanken anonym, weil ich wegen meiner Meinung vielleicht in meinem Land verfolgt werden könnte, weil meine Meinung nicht populär ist.
Der Krieg hat mein persönliches Leben durcheinander gebracht. Er hat mich und meine Familie schon ab 2015 betroffen. Ich habe meinen Mann schon 10 Jahre nicht mehr gesehen. Es gibt auch zur Zeit keine Möglichkeit sich zu treffen. Ich habe meine Tochter das letzte Mal vor 6 Jahren gesehen. Mein Enkel ist bald 3 Jahre alt, aber ich kenne ihn nur von Fotos und Videos, die meine Tochter mir aus Kanada schickt. Kanada gibt ihnen keine Unterstützung und sie müssen für ihr Leben selbst kämpfen. Manchmal ist das ganz hart, wenn es keine Arbeit gibt.
Diese 10 Jahre sind aus meinem Leben wie herausgerissen und mir vom Krieg gestohlen. Ich hatte die letzten zehn Jahre kein normales Leben, das war nur Stress und Angst und deswegen kann ich jetzt nur höchstens zwei Stunden in der Nacht schlafen. Ich bin ständig in der Beobachtung der Informationen vom Handy, wo die Raketen fliegen, wo sie eingeschlagen sind, ob die Räuber* in mein Haus eindringen wollen, ob wir Stromausfall haben.
Was will ich in dieser Situation? Natürlich nur Frieden! Wenn es friedlich ist, kann meine Familie wieder zusammen sein. Der Frieden wird nur über die Verhandlungen erreichbar sein. Dann hört weitere Ruinierung der Städte und das Menschensterben auf. Zurzeit sind drei Mal mehr Menschen gestorben in der Ukraine als geboren. Wenn der Krieg weiter geht, ist meine Nationalität in ein paar Jahrzehnten ausgestorben. Ich bin also für den Frieden, für Verhandlungen. Ich sehe keinen Sinn den Krieg weiterzuführen. Das macht die Situation nur schlechter. Wir sind müde vom Krieg, wir können keine Pläne machen, es gibt keine Entwicklung, die Jugendlichen sehen keine Zukunft für sich im Kriegsland.
In den Nachrichten habe ich auch über Selbstmorde von Rekrutierten gelesen. Ich kenne auch persönlich Männer, die drei Jahre ihr Haus nicht verlassen haben, weil sie Angst vor der Rekrutierung haben und nicht bereit sind zu kämpfen. Ich kann sie gut verstehen. Ich selbst bin ein ganz friedlicher Mensch und kann nicht auch nur einen Feind tot machen; sonst ist mir auch sogar um eine Pflanze schade, weil alle haben Recht auf das Leben – nur der Herrgott kann das entscheiden. Ich denke vielen Männern geht es genauso und deswegen wollen sie nicht in den Krieg, weil sie geistig dazu nicht bereit sind, jemandem das Leben wegzunehmen. Das ist für Zivilmenschen ganz schwer.
Also meiner Meinung nach: Der schlechte Frieden ist viel besser als der gute Krieg.
* 2023 wurde sie in ihrem Haus zwei Mal – von demselben Einbrecher – heimgesucht. Beim zweiten Einbruch wurde dieser festgenommen und ist inzwischen verurteilt.
.
Tochter, Tetiana Dykunets, Assistenzärztin:
Der Krieg hat mein Leben auf tiefgreifende Weise beeinflusst. Seit Beginn des Krieges absolvierte ich mein Praktikum in einem Krankenhaus, wo ich mit verwundeten Soldaten und Vertriebenen arbeite. Hier treffe ich auf viele gebrochene Schicksale: junge Menschen ohne Arme oder Beine, mit freiliegenden Eingeweiden, Kopfverletzungen, Hepatitis B und C sowie HIV-Infektionen. Sie leiden unter Schmerzen und Schlaflosigkeit, sind psychisch erschöpft, depressiv oder aggressiv. Es ist besser, am Leben zu sein als tot, aber für einen Soldaten oder Vertriebenen ist das oft nicht genug. Ich kann ihnen nicht versprechen, dass alles gut wird, dass der Schmerz vergeht, dass sie wieder gehen und sich selbst versorgen können, dass sie finanziell unabhängig sein werden oder dass ihr zerstörtes Zuhause wieder aufgebaut wird. All dies hat der Krieg mit ihnen gemacht.
Ich mache mir Sorgen, dass mein Ehemann in den Krieg eingezogen wird oder dass eine Rakete oder eine Drohne unser Zuhause treffen könnte. Der Krieg hat meine Familie auseinandergerissen; ich habe meinen Vater, meine Schwester und meinen Neffen seit langem nicht mehr gesehen. Deshalb sehne ich mich von ganzem Herzen nach Frieden und einem ruhigen, normalen Leben. Viele Leben wurden zerstört, aber es ist noch möglich, die Menschen, die geblieben sind, zu retten. Ich bin gegen einen Krieg, der bis zum letzten Ukrainer dauert.
Vierte Stimme aus der Ukraine:
Mein lieber Freund Utz.
Ich habe beschlossen, dir ein paar Zeilen zu schreiben. Ich bin introvertiert und war es schon mein ganzes Leben lang. Ich liebe die Einsamkeit. Meine Frau hingegen braucht Menschen. Aber wenn wir zusammen spazieren gehen, gehen wir an Orte, wo wenig Menschen sind oder wo es wenig laute Menschen gibt. Ich gehe nach der lauten Eröffnung in Ausstellungen, um mir die Bilder anzusehen und nicht den Gästen hinterherzulaufen.
Früher ging ich mit meinen Künstlerfreunden auf laute und betrunkene Partys. Ich mochte das nie. Es endet immer damit, dass deine „Freunde“ deine kreative Idee klauen. Leider stimmt das!!! Deshalb hängt die ganze „Schönheit“ hier rum. Wegen Diebstahl und Plagiat.
Ich möchte dir ein paar Zeilen über den Krieg schreiben. In diesen Zeilen geht es nicht um mich, sondern um die Menschen, die ich auf der Straße sehe. Ich sehe ihre Gesichter und was ich in ihren Gesichtern lesen kann. Als introvertierter Mensch, der die Stille bevorzugt, nehme ich die allgemeine Stimmung wahr, wenn ich in einen lauten Raum komme. Es können kurze Ausrufe, Lachen, Bewegungen sein, und schon ergibt sich das Gesamtbild. Ich werde nach der Stadt immer müde, die Stadt ermüdet mich.
Seit Kriegsbeginn ist unser Leben in Stücke zerbrochen, ich würde sogar sagen, der Krieg hat uns alles genommen und verkrüppelt. Und er lähmt uns weiterhin.
Und nach drei Jahren Krieg besteht unser Leben nun aus kleinen Fragmenten, aus Splittergruppen …
Diese Fragmente sind unser ständiger Stress, unsere Sorgen, unser Blut, unsere Verluste, unser Wunsch nach einem normalen, ruhigen Leben … Diese Fragmente sind sehr klein und sehr scharf, sie verletzen ständig Seele, Herz, Erinnerung und zerstören unsere Gesundheit.
Und auch ein ständiges Gefühl von Groll und Demütigung …
Der metallische Geschmack des Zynismus tropft von den Zungen der Politiker weltweit. Sie haben uns seit den 90er Jahren alle Waffen weggenommen, „verschiedene Süßigkeiten“ versprochen, und jetzt belehrt uns der halbschlaue Trump und stellt Bedingungen … Das hat einen Namen: Verrat. Zynismus, Feigheit, Gemeinheit, Abscheulichkeit …
Und nun ist dieses blutige Mosaik ein Teil unseres Lebens geworden, und es wird nicht anders sein.
Eine weitere (die fünfte) Stimme aus der Ukraine:
Während ich diese Erklärung schreibe, ist es der 1122. Tag der Invasion. Doch Russlands Krieg gegen die Ukraine begann nicht vor drei Jahren, nicht einmal vor elf. Seit Jahrhunderten träumt Russland davon, die Ukraine zu zerstören und unsere Kultur auszulöschen oder anzueignen. Der ukrainische Sprachmord dauert seit fast 400 Jahren an. In dieser Zeit wurde die ukrainische Sprache über 130 Mal verboten. Und dasselbe geschieht jetzt in den vorübergehend besetzten Gebieten – Menschen, die Ukrainisch sprechen, werden brutal gefoltert und getötet, ukrainische Bücher verbrannt, Kinder ihren Familien entrissen, damit sie ihre Identität vergessen und als „Russen“ aufwachsen.
Die Russen schufen den Mythos einer „großen russischen Kultur“, und leider glaubte die ganze Welt daran. Ihre „Kultur“ steht auf den Knochen von Nationen, deren Kulturen sie rücksichtslos zu zerstören versuchten. In den 1930er Jahren ordnete die russisch-sowjetische Nomenklatur die Hinrichtung ukrainischer Künstler, Dichter und Schriftsteller an, die es wagten, sich gegen den Totalitarismus zu erheben. In der ukrainischen Geschichte wird dies als „Renaissance der Hingerichteten“ bezeichnet. Eine ganze Künstlergeneration wurde ermordet. So wurden beispielsweise die Werke des europaweit bewunderten Künstlers Mychajlo Bojtschuk und seiner Schüler zerstört, und Bojtschuk selbst hingerichtet. Nur wenige Werke sind erhalten, und selbst diese bestehen meist aus Fotografien schlechter Qualität.
Der aktuelle Krieg ist das Ergebnis jahrelangen Hasses und der Respektlosigkeit Russlands gegenüber dem ukrainischen Volk. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als ich russische Fernsehsendungen sah, in denen Ukrainer als „diese dummen und komischen …“ dargestellt wurden (ein abwertender Begriff, den Russen für Ukrainer verwenden; ich möchte ihn nicht schreiben). Daher ist es falsch zu behaupten, allein Putin sei für den Krieg verantwortlich. Die Russen sind ein großes Kollektiv: Putin.
Anna Voitiuk, Lwiw, Künstlerin
.